THE VIEW Contemporary Art Space
'Für die Aufstellung des Objektes ist ein Zustand erforderlich, dessen Herstellung sein Zweck ist.'
(Objekt »SPA« im Militärunterstand)
19. Juni bis 30. September 2016 / 19th of June until 30th of September 2016
Gemeinschaftsausstellung mit / Group exhibition with Martin Walde, Björn Schülke, Martina Lauinger
The View, Fruthwiler Straße 14, CH-8268 Salenstein
Text: Jasmin Hummel; Teile im Dialog mit Boris Petrovsky
Boris Petrovsky scheint wie ein erkenntnistheoretischer Relativist. Möglichkeiten der Interpretation seiner Werke stehen widerspruchsfrei nebeneinander – können jedoch gleichsam in Konkurrenz treten – viele «Weltfüllungen» sind möglich – Festlegungen sind Entscheidungen, die im nächsten Moment revidierbar und doch gleichsam gültig erscheinen. Nichts ist alles und alles ist nichts. Die Werke spiegeln Ergebnisoffenheit bei gleichzeitigem hermetischem Verschluss. So wird die Interpretation zum Blick durch das Schlüsselloch, zum Wagnis, die Auseinandersetzung zur Erkenntnistheorie – die Werke zur poetischen Barriere. Eine Hochspannungsmischung mit Kurzschlussgefahr. Der Zustand des sich Verschliessens bei zunehmender Offenheit und zunehmenden Möglichkeitsandockungen spiegeln den Zustand des Menschen, aber auch unserer Systemwelt im Allgemeinen, die in der Beschleunigung der Zeit aus den Fugen zu geraten droht. «Ouroboros» ist ein «Sinnbild» – ein Modell – dieses kritischen Zustandes – dieser akzelerationistischen Beschleunigungsphilosophie in unserer heutigen Medien- und Konsumgesellschaft. Alles besser, alles schneller, alles wird zum Hochgeschwindigkeits-Prinzip – zunehmende Komplexität zum Verschlusskriterium. Das Rasende führt zum Stillstand – zum Ende ohne Ausgang – zum Anfang ohne Ende – zum ewigen Kreislauf – «es gleicht dem altägyptische Symbol der Schlange, die ihren eigenen Schwanz verzehrt» (Petrovsky). In dieser hochtechnisierten Welt laufen wir Gefahr Realität, Wirklichkeitsmodelle mit Spielzeug gleichzusetzen. Alles scheint beherrschbar und gleichsam bläst es sich zu einer riesigen Blase auf.
Der «Ouroboros» wurde vom Künstler für das Wasserreservoir konzipiert – eine doppelwandige Plexiglaskugel, in der ein Zug endlos kreist und sich selbst uneinholbar hinterherfährt, seinem Ende hinterher eilt und dabei versucht, die Lücke in sich selbst, also zwischen Triebfahrzeug und Warencontainerwagen in einem Kurzschluss zu schliessen. Boris Petrovsky beschreibt seine Arbeiten selbst als paradoxe Feedbackschleifen. «Die schwankende Kugel referiert auf die Welt im Taumel zwischen Euphorie und Depression, Sicherheitsbedürfnis und Risikobereitschaft, zwischen Hybris und Verzweiflung, zwischen Sollwert und Istwert, den letzten Nischen und den Spekulationen darauf. Im Inneren ist er leer – ein hohle Blase – ein leerer Weltinnenraum. Material wird bewegt, Luft verdrängt und in Schwingung versetzt, Energie verbraucht. Alles was bleibt ist ein sich zerspielender «Kreislauf», in dem sich der Zug über seine geloopte Bewegung zu feinem, goldenem Staub verbraucht, der die Lücken zwischen den Schwellen mit der Zeit vergoldet, während der Schatten von Zug und Kugel an der Wand ein freskenhaft wirkendes Diagramm der Zeitschlieren wirft. Das Licht, das der würfelförmige Micro-Videoprojektor aussendet, ist das des Kamerabewegtbildes aus dem Innenraum eines Containers des Zuges. Der Sound des Zuges, der bei der Annäherung an das Reservoir dem von rauschendem Wasser gleicht, erscheint auf der metaphorischen Ebene wie das Grundrauschen der Daten- und Warenströme, die das Gleiche bedeuteten.» (Petrovsky) Doch gleich der Zentrifuge, die nach dem Prinzip der Ausnutzung der Massenträgheit funktioniert, wird sich ein Trennungsprozess vollziehen. Denn alles im Hier und Jetzt scheint determiniert auf ein Zukünftiges, das paradoxerweise vor der Gegenwart passiert – wie Petrovsky es in seinem Zitat beschreibt. Es kann allerdings auch als Gegenthese zu einem linearen Zeitbegriff, als «Selbstläufer» innerhalb eines zyklischen Zeitbegriffes gedeutet werden.
«Für die Aufstellung des Objektes ist ein Zustand erforderlich, dessen Herstellung sein Zweck ist». Mit diesem Satz gibt uns Boris Petrovsky erneut Rätsel auf – seine Kunstwerke wie auch seine Denkansätze werden zum Kopfkino mit psychosensorischen Sensationen – sie legen «Mindbombs» – präsente Gedankenprogramme. Die Kunst wird dabei zur reibungsvollen «Spekulationsmasse», die sich immer weiter ad absurdum führt. Die Hülle, das Gehäuse wird wie bei seiner Arbeit «Spekulationsmasse» – ein ehemals hölzernes Tabernakulum als Fundstück, das hochpräzise in Aluminium umgegossen wurde – zum bestimmenden Wertobjekt, dessen leerer Innenraum wie eine Heilsversprechung sein Wertpotential potenziert. Das Cluster-Objekt «iSmell» aus gebrauchten Neon-Werbebuchstabenfragmenten wird zum lichten Träger einer von Oberflächen geprägten Marketingindustrie. Sprache und Schriftzeichen werden hier kurzgeschlossen und von ursprünglichen Kontexten entladen. Die Arbeit «Spa» wird zum «narzisstischen Zentrierungsobjekt» für die Selbstoptimierung hin zum «Übermenschen» ohne Mensch. «Spa» wurde eigens für den Militärunterstand konzipiert. Es ist eine Arbeit, die uns viele «Spiel- und Diskursmöglichkeiten » anbietet – eine «Mindbomb», die zwischen Begriff und Bild des Brunnens und der Quelle in der Erfahrung des gemeinsamen Beobachtens der Besucher zündet. Die Sinnlichkeit des Objektes macht es zu einer funktionalästhetischen Poesie. Für die Besucher wird es zu einem Ort des fokussierenden Beobachtens – ein rätselhaftes, kultisches Objekt, fremd und vertraut zugleich, um das sich herum versammelt wird und Interaktivität zwischen den Beobachtern entsteht. Für den Künstler selbst steht das Werk in seiner «Spiegelhaftigkeit für den Narzissmus, die Verschmelzung von Gerät und User oder Beobachter, die ‚hineingezogen‘ werden, ob sie wollen oder nicht. Der Militärunterstand wird zum Abbaugebiet. Der Entfeuchter baut Feuchtigkeit ab und ‚produziert‘ Wasser mit Vorstellungen. Die Kaverne als Ort soll offenbar trocken gelegt werden. Der Abbau wird zum Raubbau ... Ein militärisch-industrieller Komplex.» (Petrovsky)
«OUROBOROS» Boris Petrovsky seems to be an epistemic relativist. Possible interpretations of his work appear uncontested next to each other, but may also compete with each other. Many different «world fillings» are possible. Decisions may be revised from one minute to the next and are still valid. Nothing is everything and everything is nothing. His work displays openness as well as hermetic closure. The interpretation thus becomes a view through the keyhole, a risk. The dispute itself becomes epistemology while the work presents itself as a poetic barrier, constituting a high voltage mix with the risk of a short circuit. The state of closure with increasing openness and unlimited possibilities reflects the state of mankind and a system world in general that threatens to fall out of joint. «Ouroboros» is a symbol of this critical state, the acceleration philosophy in today’s media-dominated consumer society, where everything must be better, faster, more complex. Frenzy leads to standstill, to an end without exit, to a beginning without an end, to an eternal loop. «It resembles the ancient Egyptian symbol of the snake that consumes its own tail.» (Petrovsky). In our high-tech world, we run the risk of equating reality and models of reality with toys. As if everything were controllable and at the same time turns out to be nothing but a bubble.
The artist designed «Ouroboros» especially for the water reservoir: It is a double-walled ball made of plexiglas, in which a train circles endlessly, thereby constantly following but unable to pass itself, all the while trying to close the gap between itself the locomotive and itself the freight wagons by means of a short circuit. Boris Petrovsky describes his work as a paradoxical feedback loop. «The bobbling bubble refers to the topsy-turvy world between euphoria and depression, obsession with security and willingness to risk, between hubris and desperation, between desired and actual value, the last niche and speculation regarding the niche. The center is empty – a hollow bubble or inner space. Material is moved; air is displaced and vibrates while energy is consumed. All that remains is a playful ‘circuit’, in which the train consumes itself with its gyrating loops, thereby producing a fine, golden powder, which eventually dusts the space between the railroad ties while the shadow of the ball and its train cast fresco-like streaks on the adjacent wall. The light emitted by the cubic micro-video project is that of a moving image from the inner container of a train. The noise of the train, which resembles the sound of rustling water as the train approaches the reservoir, appears metaphorically to be the rustling of data and merchandise flow.» (Petrovsky) But as with a centrifuge, which functions according to the principle of inertia utilization, the process of separation will take place. After all, the here and now seems to be determined to move forward into the future, strangely enough, even before the present, as Petrovsky explains. This can, of course, be seen as an antithesis to a linear notion of time, as a «self-primer» within a cyclical concept of time.
«In order to array the object, a condition is required, whose fabrication is itself the purpose.» Boris Petrovsky again baffles us with this riddle. His artwork as well as his intellectual approach are mind games with psychosensoric sensations, i.e. they present us with «mind bombs». Art thus becomes an «Spekulationsmasse», indeed a reductio ad absurdum. The packaging itself is the «object of speculation » – a former, wooden tabernacle which has been exquisitely cast in aluminum, thus becoming valuable, and whose inner hollow space potentiates its value with a promise of salvation. The cluster object «iSmell», composed of neon letter fragments, presents itself as a light medium of a marketing industry that is branded by superficialities. Language and characters are short-circuited and discharged of their original context. «Spa» is a narcisstic «centering device» for self-optimization to the point of becoming an «Uebermensch » without man himself. «Spa» was conceived for a military bunker. It is a work that provides us the opportunity for «playful discourse», a «mind bomb» that detonates between the concept and the image of the well and the source in the experience of the viewers’ collective observation. The sensuousness of the object renders it functionally aesthetic poetry. Beholders will view it as a place of focused perception, a puzzling, cultic object, strange and yet familiar, around which beholders gather and interactively perceive. For the artist himself, the work stands for «narcissism, for the conflation of device and user or viewer, who is «drawn into» the object, whether he wants to be or not. The military bunker thus becomes a mining zone. The dehumidifier eliminates humidity and «produces» water with the imagination. While the cavern is drying, the act of mining becomes ruthless exploitation: a military-industrial complex.»
Danke an / Thanks to
Daniel Lehmann, Martin Bruder, Bruder Werbetechnik, Allensbach
Schlosserei Straub Allensbach
Janosch Blummer
Georg Nagel, Nina Martens (stereomorph)
Anna Emmerling